Bayerlein

Zeitenwende

von Cancel Culture und dem verzweifelten Widerstand gegen progressiven Wertewandel
Ein Kommentar von Tamara Pruchnow

Im Juli beschloss die progressive Mehrheit im Stadtrat gegen den Willen der Konservativen und Rechten, die Bilder des nationalsozialistischen Malers Bayerlein aus dem Rathaus abzuhängen. Die Wut war groß und die Empörung als Folge noch größer. Doch woher dieses Wut? Gibt es eine
„grün-linke“ Cancel-Culture? Eine Diktatur der Moral?

Sehen wir uns die Realität doch einmal an: Was ist passiert? Die Bilder eines Nationalsozialisten der ersten Stunde und bekennenden Antisemiten, Bilder mit nach Einschätzung einer Kunsthistorikerin eindeutig nationalsozialistischer Botschaft, diese Bilder wurden Ende der 30-er Jahre von den Nazis in den großen Sitzungssaal und in den Trausaal gehängt. Mehr als 80 Jahre hingen sie dort, in dem Saal, in dem wichtige politische Entscheidungen getroffen wurden, und durch ihren Platz im Trausaal bilden sie den
Hintergrund von Generationen Bamberger Hochzeitsfotos. Hochzeitsfotos von Paaren, bei denen so viele nicht vom Kontext wussten, der den Bildern anhaftete. Und sie einfach nur hübsch fanden. Verständlich. Das sind sie auch erst einmal. Aber eben nicht nur. Diese Bilder haben eine Aussage
und sie hingen nicht einfach irgendwo, sondern im demokratischen Herz Bambergs. Und jetzt hängen sie dort nicht mehr. Das ist eine große Veränderung und auf diese Veränderung folgte Wut.

Diese Wut ist bekannt aus der aktuellen Debatte um eine angebliche Cancel Culture. Aber was bedeutet Cancel Culture? Wer das Gerede der vergangenen Jahre um eine vermeintlich um sich greifende Political Correctness mitbekommen hat, der weiß im Grunde, worum es geht. Das Schreckgespenst Cancel Culture ist aber noch viel größer. Den Bürger*innen soll laut dieser Theorie nicht nur vorgeschrieben werden, was sie sagen dürfen, nein, bei Verstoß müsse man jetzt außerdem mit karriereschädigenden Konsequenzen rechnen. Eine Institutionalisierung der Moral mit freiheitseinschränkenden Folgen.

Es gab eine Zeit, da konnte man als Mann des öffentlichen Lebens frauenfeindliche, entwürdigende Dinge sagen, alle haben gelacht und nichts ist passiert. Wie angenehm. Mittlerweile gibt es Gegenwind. Menschen, die aufstehen und sagen „das ist nicht okay“ oder die dagegen demonstrieren. Unangenehm für den, gegen den demonstriert wird. Aber weniger Freiheit? Die Frage ist, für wen. Schon als Kinder haben wir gelernt, dass die Freiheit der einen dort endet, wo die der anderen aufhört. Ohne Gegenrede rassistische oder homophobe Reden zu schwingen ist Freiheit für denjenigen, der dies tut. Die Folgen, die dieses Weltbild hat, beschneiden aber die Freiheit der betroffenen Minderheiten. Ist das gerecht? Ist die eine Freiheit wichtiger als die der anderen, nur weil es die der Mehrheit ist? Mehr Menschen sind – zum Glück – der Meinung, dass dem nicht so ist.

Wertewandel ist nichts Neues. Als Gesellschaft müssen wir unsere Werte konstant diskutieren und neu aushandeln. Genau das passiert auch jetzt. Es gibt heutzutage einen breiteren Konsens darüber, dass Frauen gleichwertige Menschen sind, dass Homosexualität keine Krankheit ist und dass die rassistische Diskriminierung von Menschen zu verurteilen ist. Mit der Umsetzung hapert es, aber der Konsens ist größer geworden. Das bildet sich auch darin ab, wenn in einer Stadt wie Bamberg durch die demokratische Wahl der Bürger*innen die CSU zum ersten Mal in der Opposition landet und eine grün-rote Kooperation mit Beteiligung weiterer progressiver Parteien möglich wird.

Aber sind Wertewandel und Gegenwind eine „Meinungsdiktatur“? Nein. Niemand muss ins Gefängnis, weil er herablassend über Frauen redet, niemand wird angeklagt, weil er*sie N***rkuss sagt. Aber es gibt eben lautere Gegenrede als früher. Wenn einem da früher niemand widersprochen hat und dieser Zustand als Normalität wahrgenommen wurde, dann erscheint Gegenrede natürlich umso bedrohlicher. Demokratisch legitim und notwendig ist sie deswegen nicht weniger.
Was hat das Ganze jetzt mit Bayerlein zu tun? Folgendes: Besonders auffällig war die häufige Erklärung von konservativen Stadträten, die Bilder seien ja so hübsch und gehörten nunmal zu den Räumlichkeiten in Bamberg. Im Nachgang wurden auch Vergleiche mit der Bücherverbrennung durch die Nazis gezogen. Welch vermessener, kurzsichtiger Vergleich. Niemand verbrennt diese Bilder, niemand verbietet sie. Sie wurden lediglich über 80 Jahre, nachdem die Nazis sie dort aufgehängt haben, endlich aus dem demokratischen Herz Bambergs genommen, um sie der Öffentlichkeit an anderer Stelle kunsthistorisch eingeordnet zugänglich zu machen. Eine demokratische Entscheidung durch neue, progressivere Machtverhältnisse im Stadtrat, dem dafür zuständigen Gremium. Es wurde Zeit. Ein neuer, grüner Wind weht durch Bamberg und der Blick geht nach vorne.

Vielleicht sollte die CSU den ihrigen auch ab und zu von einer Vergangenheit lösen, die längst Geschichte ist, wenn sie Entscheidungen treffen will, die auch die Zukunft beeinflussen.

Tamara Pruchnow

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